Ein Rastplatz bis in prähistorische Zeiten

Die Steinzeit an der Sieg


Heute erstrecken sich auf der Landhöhe bei Herchen Wiesen und Felder. Im Vorbeifahren wird mancher bei gutem Wetter die wunderbare Fernsicht in alle vier Himmelrichtungen genießen. Ob unsere Vorfahren vor vielen Tausend Jahren die Fernsicht genossen, wissen wir nicht; aber sie wussten die weite Sicht sehr wohl zu nutzen. Steinfunde, gerötetes Geröll und verbrannter Lehm verraten: Wo sich heute auf dem höchsten Punkt die Straßen nach Gerressen und Eitorf kreuzen, auf dem Feld vor 
dem „Heiligen Häuschen“ mit der alten Linde, war in der Steinzeit ein Jadgbeobachtungsplätze der umher ziehenden Jäger und Sammler. Wo die Jäger die Ankunft der Rentier- und Wildpferde-Herden aus dem Urstromtal des Rheins in das 
Siegtals beobachteten und durch Feuerzeichen nach weiter oben meldeten, sodass dort die Absperrungrn in den engeren Siegnebenflusstälern, wie der Westert für die Kesseljagd vorbereitet werden konnten. Während des Wartens bearbeiteten die Beobachter Quarzite oder Feuersteine (aus dem Aachener Abbaugebiet), um daraus Speerspitzen, Messer, Retuscheure und dergleichen herzustellen. Die Abschläge findet man an diesen Plätzen heute noch, und sie beweisen die Anwesenheit von Jägern, weil Feuerstein (Silex) in unserer Region natürlich nicht vorkommt.

Die Steinspitzen wurden mit Birkenpesch an den Speeren oder Holzgriffen befestigt.

Das Zeitalter der Steinzeit erhielt seinen Namen von jenem Rohstoff, der in dieser Zeit zur Herstellung von Werkzeugen und Waffen bevorzugt benutzt wurde; Beginn und Dauer von Alt-, Mittel- und Jungsteinzeit weichen regional voneinander ab.

Bei Oberflächenfeldbegehungen der Herchener Höhe in den letzten beiden Jahren, brachte Werner Schmidt aus Dreisel die Relikte der Vergangenheit ans Tageslicht. Sie versteckten sich in Lehmklumpen, unsichtbar für ein ungeübtes Auge.

Mittlerweile hat das Rheinische Amt für Bodendenkmalpflege einen Teil begutachtet. Die meisten Stücke stammen aus der Mittelsteinzeit (Mesolithikum), etwa 8000 v. Chr. – 4000 v. Chr. – Steinbrocken aus Grauwacke, die als Amboss und Schablone bei der Werkzeugerstellung dienten, Schlag- und Stosswerkzeuge aus dem gleichen Stein und Mikrolithen (mikro = klein, lithos = der Stein), auffallend kleine Steingeräte wie retuschierte Klingen, Dreiecke verschiedener Proportionen und Pfeilspitzen aus Quarzit, Kieselschiefer oder Feuerstein, sind charakteristisch für die Mittelsteinzeit.

In der Mittelsteinzeit erwärmte sich das Klima, eine reichhaltige Landschaft und Tierwelt entwickelte sich nach einer langen Eiszeit mit gelegentlichen Wärmeperioden. Bei den Streifzügen der nomadisierenden Jäger und Sammler auf den Pfaden der Mammut-, Rothirsch-, Reh-, Auerochsen-, Wildschwein-, Rentier- oder der Wildpferdherden, bot die Herchener Höhe einen hervorragenden Rastplatz. Der Blick aufs Siebengebirge, auf Nut- und Leuscheid und ins Siegtal verrieten nicht nur frühzeitig die Ankunft von Mensch oder Tier, ebenso dienten die nur wenige Schritte entfernten Schluchten als Rückzugsgebiet vor dem Feind. Die Sieg fließt im großen Bogen um den Höhenzug und war somit eine natürliche Barriere für Angreifer und ein Fischlieferant. Pfiff auf dem sonnenwarmen Platz der Wind, konnten die Fellzelte blitzschnell in die nahen Schluchten verlegt werden, wo auch das notwendige Quellwasser vorhanden war. Von der Höhe hatten die Nomaden kurze Wege in alle Richtungen, weil sie den lang gezogenen Siegbogen umgehen konnten.

Art und Streuung der „Steinausbeute“, ebenso wie ihre Datierung verraten, dass es sich nicht um eine Siedlung, sondern um einen Rastplatz handelte. Spärliche Ofenreste und verbrannter Lehm sind ein weiterer Hinweis. Auf behauenen Grauwackesteinen schlug man schnell und präzise Spitzen und Klingen aus Quarzit und Feuerstein, große Dreiecksteine dienten als Schablone und gaben die Form. Quarzit kommt in der Umgebung vor, wohingegen der kostbare Feuerstein, der wegen seiner Härte und guten Spaltbarkeit besonders beliebt war, mitgebracht oder getauscht werden musste; die nächsten Vorkommen liegen nördlich von Dortmund und im Aachener Raum. Die Mikrolithen wurden als Spitzen und Widerhaken in Knochenspitzen oder hölzerne Pfeilschäfte eingesetzt und mit Pech oder Harz festgeklebt. Die Schneiden, Kratzer und Schaber benutzte man als Messer, um Späne vom Holz zu schneiden und das Fleisch vom Fell zu lösen.

Die Herchener Höhe ist wie ein überdimensionaler Hochsitz. Die erfahrenen Jäger beobachteten aus der Ferne, wohin die Herden zogen. Wanderten sie abends ins Tal, wurden sie am Morgen von Treibern aufgescheut und in den Hinterhalt getrieben. Das verschreckte Wild zog sich zurück, um sich schon bald in Sicherheit zu wähnen. Dort lauerten dann die Schützen, deren wichtigste Jagdwaffen Speere, Pfeil und Bogen und Harpunen waren, schließlich wurden auch 
Fallen gestellt bzw. Fallgruben ausgehoben.

Als weitere Ernährungsgrundlage dienten Beeren, Früchte, Kräuter und Wurzeln, die frisch oder getrocknet verwendet wurden.

Die Schlag- und Stoßwerkzeuge die auf dem Feld gefunden wurden, benutzten die Frauen wahrscheinlich zur Verarbeitung, z. B. um Nüsse zu zerkleinern.

Die Mittelsteinzeit wurde von der sogenannten „neolithischen Revolution“ abgelöst, der Lebenswandel der Menschen änderte sich mit der Domestizierung von Tieren und Pflanzen im Laufe vieler Jahrhunderte einschneidend. Der Höhenzug bei Herchen wurde besiedelt.  Siedlungskeramik aus dieser Zeit und aus der „Hügelgräberzeit“, etwa 1200 bis 700 v. Chr. im weitläufigen Gebiet um den Sommerhof, lässt anhand der zu- oder abnehmenden Scherbendichte erkennen,

wo einzelne Höfe gestanden haben. Der Wald wurde gerodet, der fette Lößboden war ideal für den Ackerbau. Emmer, Gerste, Hirse und Erbsen wurden rund um den Hof angebaut. Schafe, Ziegen, Schweine und Rinder sorgten jetzt für Fleischvorräte; Jungwölfe hielt man als Haustiere, die den Hof  bewachten. Das notwendige Wasser war reichlich vorhanden.

Aus den Jägern und Sammlern waren Ackerbauern geworden, die Jagd verlor an Bedeutung. Durch die Sesshaftigkeit waren neue Fertigkeiten gefragt, man benötigte nun Vorratsgefäße, Ton- bzw. Keramik wird als neuer Werkstoff entdeckt, für die Feldbearbeitung entstehen die ersten Karren mit Scheibenrädern. Die Jungsteinzeit nennt man auch die „Zeit des geschliffenen Steins“. Die Werkzeuge wurden nun scharf geschliffen, Stein und Holz durchbohrt, so dass man handlichere und bessere Werkzeuge besaß, mit Steinäxten wurde gerodet und das Holz für den Hausbau bearbeitet.

Ein weiterer, wesentlich jüngerer Schatz aus der Vergangenheit ist die alte Linde, die über dem „Heiligen Häuschen“ Wache hält. Sie gewährte Schutz vor Gewitter und bösen Geistern. Bei den Germanen galt die Linde als heiliger Baum, dessen Holz zur rituellen Verbrennung der Toten verwandt wurde. Der Baum der Liebe war wegen der herzförmigen Blätter der Liebesgöttin Freya gewidmet. Sie diente auch als Gerichtsbaum, unter dem die alten Germanen ihre Thingversammlungen abhielten. Mit der Christianisierung wurden aus den Freya-Linden die Marien-Linden.

Anm. von Dr. Frieder Döring.
Im Herbst 2019 wurde durch eine Stichprobengrabung des LVR, Außenstelle Overrath, an den Ringwällen von Stromberg/Alsen endlich der sichere Nachweis geführt, dass die Anlage eine keltische Burg aus der Hallstadt-Zeit 
ist (also ca. 3000 Jahre alt).

Autor: Karl Ludwig Raab
Mein Dank an die Autorin und den Autor der Texte: Sylvia Schmidt und  Dr. Frieder Döring

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