Mehr als nur ein Maisfeld

Von Nomaden, Fischern und Jägern im Siegtal

Wir schreiben den 26. April 2001. Es ist Abend. Wie so oft in den letzen 30 Jahren ist Werner Schmidt aus Dreisel unterwegs, diesmal in Übersetzig. Die Häuser liegen jetzt hinter ihm. Er interessiert sich für ein Maisfeld an der Sieg mit Blick auf  Wilberhofen. Er weiß, dass er sich beeilen muss; nicht nur weil die Dämmerung bald hereinbricht, auch wegen der Jahreszeit, denn wenn der Mais zu hoch gewachsen ist, kann er seine Suche für die nächsten 
Monate einstellen – er ist auf der Suche nach Mosaiksteinen aus der Vergangenheit. Noch am gleichen Abend wird er die ersten Funde von der Altsteinzeit bis zur modernen Zeit nach Hause tragen: Er brauchte sie nur aufzuheben.

Die Fundstücke umfassen mittlerweile sechs große Kisten, deren Inhalt erst zum Teil von Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege gesichtet und datiert wurde. Wir setzen den Inhalt der Kisten zu einem Puzzle mit 
Lücken zusammen und versuchen der Vergangenheit ein Gesicht zu verleihen.

Was heute wie ein gewöhnliches, ebenes Maisfeld ausschaut, war durch die Jahrtausende ein Siedlungsplatz für unsere Vorfahren; ein Hinweis dafür ist die Scherbendichte aus allen Epochen, die auf der Oberfläche gefunden wurde.

Der aufmerksame Betrachter wird sich fragen: „Wie kann das sein, wo gleich nebenan die Sieg mit ihren regelmäßigen Hochwassern vorbei fließt?“ Der prähistorische Siedlungsplatz von sechs bis acht Morgen Land 
weist einige Besonderheiten auf. Im Talkessel zwischen Übersetzig und Rossel kann die Sieg sich noch heute ausdehnen, mit einer Ausnahme: Dem Siedlungsplatz. Das Feld ist nur scheinbar eben, bei näherem Hinsehen 
erkennt man die Mulden, die das Wasser hinterlassen hat,  deutlich sichtbar erhebt sich der Siedlungsplatz über das Tal. Wenigstens bei Hochwasser war der Platz vom Fluss umschlossen, gleichzeitig aber durch 
die erhöhte Lage zu allen Zeiten auch vor heftigsten Hochwassern geschützt. Nur so war es möglich, dass die Fundstücke nicht fortgespült und vom Wasser zermalmt wurden.

Einige Stücke des Siedlungsplatzes können der jüngeren Altsteinzeit 20.000 bis 9.000 v. Chr. zugeschrieben werden - Warum? In der Altsteinzeit war präzises Werkzeug für die Jäger und ihre Familien unerlässlich.

Die Landschaft war eine Tundra, kalt und karg. Wer überleben wollte, musste beim ersten Mal mit den messerscharfen Wurf- und Pfeilspitzen treffen. Die Menschen zogen als Nomaden umher, die sich hauptsächlich von Fleisch ernährten, das sie kiloweise zu sich nahmen, um ihren Körper unter den harten Lebensbedingungen widerstandsfähig zu halten. Viele Tierarten zogen in Herden umher, z. B. das Rentier. Sie verschwanden jedoch in andere Reviere, sobald sie merkten, dass Jäger hinter ihnen herliefen. Deshalb brachen die Nomaden ihre Zelte aus Fell ab und zogen weiter, wenn ihre Vorräte zur Neige gingen.

In der Mittelsteinzeit von 8.000 bis 4.000 v. Chr. änderten sich mit dem Klima auch die Pfeilspitzen, die nicht mehr mit der gleichen Exaktheit gefertigt wurden; Schmidt hat einige Spitzen aus Feuerstein, Kieselschiefer und Quarzit 
in seiner Schatzkiste. Die Gesteinsabschläge dienten nicht nur als Pfeilspitzen - mit der Durchschlagkraft einer modernen Gewehrkugel – sondern auch als Widerhaken auf Harpunen, die unsere Ahnen mit Birkenpech auf 
Holzstecken befestigten. Noch im letzten Jahrhundert galt die Sieg als der fischreichste Fluss Preußens. Da die Landschaft nun grün war, gab es genügend Wild und Land, das im milderen Klima bewirtschaftet werden konnte.

Die Nomaden wurden langsam sesshaft, machten das Land urbar und bauten Hütten aus runden Eichenstämmen und Lehm, der von einem Flechtwerk gehalten wurde. Der sonnige, warme, durch den Anstieg sichere Siedlungsort

in Übersetzig war ideal zum Siedeln. Der Fluss versorgte die Menschen mit Fischen, Wild gab es reichlich, das fruchtbare Schwemmland taugte zu bestem Ackerland. Zwei Furten dienten als Verbindungsweg zur anderen Siegseite, und an Holz für den Floßbau mangelte es nicht.

Unzählige Keramikscherben ab der Hallstatt-/Frühlatènezeit (etwa 750 bis 450 v. Chr.) in rot-schwarz, grau-schwarz, hell, mit Verzierungen, verschiedenen Glasuren bis zur Siegburger und Westerwälder Keramik belegen die Kontinuität 
der Besiedlung und machen es möglich, einheimische und importierte Ware zu unterscheiden.

Viele Scherben stammen aus der römischen Zeit etwa 200 n.Chr., die römische Grenze verlief an der Linie Köln/Bonn.

Nur zwei Tagesmärsche von Übersetzig entfernt, bot sich der Handel mit dem freien Germanien an, und sie erstanden für ihre Keramikwaren Felle und Fleisch aus der Gegend. Weitere Fundstücke sind später zu datieren

– Metallscheiben, alte Bogenmesser, Eisenringe, ein Dolchrohling, Kohlenstücke, Schlacken und ein großer Blitzglasbrocken - ein Quarzstück, das durch einen Blitzeinschlag zu Glas geschmolzen war.

Viele Keramikscherben stammen aus der Karolingerzeit ab 800 n. Chr., wohingegen man im Gebiet um die unweit gelegene Laurentiuskirche, die 895 zum ersten Mal urkundlich erwähnt wird, nur wenige Stücke gefunden hat.

In der näheren Umgebung hat es wahrscheinlich einen Königshof und sieben Ritterburgen oder Burghäuser der Uradeligen gegeben. Die Abfälle dieser Höfe wurden mit dem Mist aufs Feld am Rand der Peripherie nach 
Übersetzig transportiert und sind deshalb dort vermehrt zu finden.

Auch aus der fränkischen Zeit gibt es Mosaikstücke. Es war die Zeit von König Chlodwig, dem Sugambrer.

Er war der erste germanische König, der sich römisch-katholisch, wohl 496 n. Chr. taufen ließ. Eine Taufe mit "welthistorischer Bedeutung", die der Bischof von Reims vornahm. Laut Überlieferung hatte Chlodwig gelobt, 
sich taufen zu lassen, wenn er in der Schlacht bei Zülpich gegen die Alemannen siege. Er errang den Sieg und schwor den heidnischen Göttern Wodan und Odin ab. Noch am gleichen Tag bekannten sich 3.000 fränkische Krieger zum Christentum, und der neue Glaube wurde Staatsreligion im gesamten Abendland. Der Bischof taufte ihn mit den Worten: „Beuge dein Haupt, stolzer Sugambrer.“

Autor: Karl Ludwig Raab
Autorin des Textes: Sy. Schmidt

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